Identitätskonstruktion durch Sprache
Expertin 1
In Polen geboren und aufgewachsen. Erste Berührungen mit der deutschen Sprache in Form eines fakultativen Unterrichts mit 10 oder 12 Jahren. Die Eltern verfügten über sehr gute Deutschkenntnisse. Im späteren Bildungsverlauf weiterhin als Fremdsprache gelernt. Anschließen Germanistik-Studium. Mit 22 Jahren ein 2-semestriger Aufenthalt als Stipendiatin in der BRD. Migration nach Österreich im Jahr 1989.
Beruflich ist die Interviewpartnerin im Bereich der Translation und der Wissenvermittlung an einer österreichischen Universität tätig.
Identität
Die Interviewpartnerin nannte als Grundsozialisierung die polnische Kultur und Sprache. Ihre Sozialisierung in der deutschen Sprache begann mit dem Aufenthalt in der BRD, als die in direkten Kontakt mit der Sprache kam. Mittlerweile ist ihre polnische Identität sehr stark von der deutschsprachigen Kultur überlagert, da sie die polnische, aktuelle Kultur, Politik, Gesellschaft von außen beobachtet. Sie nimmt die polnische Identität als eine Art „Grundrauschen“ wahr mit einem „Überbau“ aus deutschsprachiger, griechischer und italienischer Identität.
Identität bedeutet für die Befragte das Bewusstmachen, welche Bedeutung die Sprache und Kultur für einen selbst haben. Aber auch was man versteht und wie man die Symbolik dekodiert. Es bedeutet auch zu reflektieren, ob einem der österreichische Pass wichtig ist, aber auch zu überlegen ob man an bestimmten Diskursen und Diskussionen teilnehmen kann oder diese einem fremd sind. Identität kann aber auch auf politische Faktoren gerichtet sein und von gewissen Person „vereinnahmt“ und durch ein bestimmtes Narrativ definiert werden.
Auch das feiern bestimmter Feste, wie Weihnachten, mitsamt bestimmten Bräuchen kann einen Teil der polnischen Identität ausmachen.
Von Studierenden mit polnischem Migrationshintergrund (meist in der dritten Generation) erhielt die Befragte oft die Aussage, dass sie sich in der Regel in Österreich als Pol:innen fühlen und in Polen als Österreicher:innen – also zwischen beiden Kulturen.
Die polnische Sprache
Sprache ist ein fundamentaler Faktor für die Identitätskonstruktion. Hierfür sind nicht nur Sprachkenntnisse (Anmerkung z.B.: Lexik, Grammatik, etc.) ausreichend, sondern auch Wissen über den Textkorpus, und die Geschichte, denn dies ist stark mit der Kultur verbunden. Bestimmte Wörter wurden stilisiert, aufgrund geschichtlicher Ereignisse, die im kollektiven Gedächtnis eine wichtige Rolle spielen (Bsp. Verfassung).
Die Sprache sieht die Interviewpartnerin als Voraussetzung für die polnische Identität, da ohne diese Kenntnisse ein Verständnis der Sprache und damit auch der Kultur letztlich nicht möglich ist. Auch die Vermittlung der polnischen Sprache, beispielsweise beim Übersetzen, erfordert ein tiefes Verständnis, vor allem, je tiefer die Texte mit literarischen, historischen, politischen Wissen verankert sind.
Zum Thema, ob bestimmte Texte nur von bestimmten Gruppen übersetzt werden dürfen (in Anspielung auf die Debatte, ob nur Afroamerikanner:innen das Gedicht von Amanda Gorman „The hill we climb“ übersetzen können) äußerte die Interviewpartnerin, dass dies jeder unabhängig von Geschlecht, Alter, etc., machen soll, der es kann. Wichtig dabei ist ein Verständnis für die Sprache, die Zeit, den Dialekt oder eine Kultur haben.
Beim Dolmetschen aus dem Polnischen hat man den Vorteil, dass Dialekte kaum in öffentlichen Reden verwendet werden. Dennoch gibt es viele idiomatische Ausdrücke, die ohne das Wissen darüber nicht in die Zielsprache übertragen werden können. Beispielsweise sprach ein polnischer Staatspräsident (Komorowski) vor dem europäischen Parlament und erwähnte die Zeitschrift „ABC“ dessen Herausgeber er in seiner Studienzeit war. Ohne zu wissen, wofür diese Buchstaben stehen (nämlich übersetzt Adria, Baltikum und das Schwarze Meer) ist es schwierig eine Entscheidung zu treffen wie man dies in die Zielsprache überträgt um die Bedeutung der Aussage zu transportieren.
Die polnische Community
Diese ist nicht homogen, sondern heterogen. Je nach z.B. Alter, Bildungsstand, Religiosität nehmen unterschiedliche Generation, an bestimmten Veranstaltungen teil. Beispielsweise entsteht der Eindruck, dass ältere Generationen, aufgrund einer konservativeren Einstellung, an z.B. Autorenabenden oder Vorträgen über Polen teilnehmen. Zudem kann man auch polnische Messen, Cabarets oder Restaurants in Wien besuchen. Ein breites Kunst- und Kulturangebot sowie wissenschaftliche Diskussionen findet man auf der Homepage des polnischen Instituts in Wien. Auch die polnische Botschaft organisiert Veranstaltungen. Es gibt auch eine polnische Schule in Salzburg, in welcher auch die polnische Matura absolviert werden kann.
Ein weiteres heterogenes Merkmal der Community ist der Grund des Aufenthalts in Österreich, von Gastarbeitern über Personen die in der Pension wieder nach Polen zurückkehren oder in Österreich ein Haus bauen und bleiben, bis hin zur Generation nach dem Kommunistischen Regime, welche sich nicht festlegt, sondern vielleicht nach einigen Jahren in ein ganz anderes Land emigriert.
Folgende Stereotypen wurden im Interview genannt:
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Polen seien konservativ und ganz brave Katholiken. Dies kann auf die Geschichte zurückgeführt werden. Einerseits auf das 19.Jh, als es keinen polnischen Staat gab und andererseits auf die Zeit des Kommunismus. Auch die Wahl eines polnischen Papstes trug zu diesem Stereotyp bei.
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Polen trinken sehr viel Vodka. Man beachte hier die Tatsache, dass es in Polen nicht so ein großes Angebot an Wein gab und wenn, dann teuer. Diesem Stereotyp stimmte die Interviewpartnerin zu.
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Die Befragte erzählte auch von einem ironisch gemeinten Theaterstück über polnische Putzfrauen und dass man auf die Frage nach der Herkunft auch schon mal die Antwort bekommt: „Meine Putzfrau ist auch Polin“.
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Polen stehlen Autos. (nach diesem Vorurteil wurde die Person von der Interviewerin aktiv gefragt) Hier erzählte die Interviewpartnerin von dem Klassiker: „Fahren Sie nach Polen, Ihr Auto ist schon da.“ Historisch gesehen gab es in der Vergangenheit tatsächlich organisierte Kriminalität, was ihr auch als Dolmetscherin und Übersetzerin auffällt. Sie verwies auf Stereotype anderer Nationalitäten in Verbindung mit kriminellen Sparten.